Abstract
Politische Parteien konnten sich in Frankreich auf keinem für sie sehr fruchtbaren Boden entwickeln. Porträts der französischen politischen Kultur heben Eigenheiten wie das Fehlen staatsbürgerlicher Gesinnung (incivisme), Individualismus und Mißtrauen gegenüber Organisationen hervor (Crozier 1970; Pitts 1981; Gaffney/Kolinsky 1991). Auch wenn diese Porträts allzu impressionistisch sind, so scheinen französische Bürger doch seltener als nordeuropäische bereit, Parteimitglieder zu werden. Mitgliederparteien vom deutschen oder skandinavischen Typ sind selten; lediglich die Kommunisten und die Gaullisten boten Beispiele für Massenparteien — und beide sind inzwischen nur noch Schatten ihrer selbst. Von größter Bedeutung ist, daß ein einflußreicher Strang der republikanischen Tradition politische Parteien als Elemente der Spaltung und des Streits denunziert hat; ihre Existenz wird allenfalls geduldet, und dies auch nur unter der Bedingung, daß sie die höheren Interessen der Republik nicht gefährden. Am deutlichsten kommt dies in der klassischen gaullistischen Tradition zum Ausdruck, im Rahmen derer die politische Bewegung eine direkte Beziehung zwischen der „von der Vorsehung bestimmten“ Führungsfigur und der Nation befördert, sich aber ihrerseits nicht anmaßt, in diese privilegierte Beziehung einzugreifen. Das Mißtrauen gegenüber Parteien ist tief in der Ideologie des unitarischen Staates verwurzelt. Ihr zufolge verkörpert der Staat den allgemeinen Willen, der über den Partikularinteressen steht, die durch Parteien, Gruppen und Regionen repräsentiert werden. Eine Doktrin wie etwa der Pluralismus, der die Bedeutung von Zwischengewalten und Bindegliedern zwischen Bürger und Staat (corps intermédiaires) unterstreicht, stößt in Frankreich nicht auf natürliche Sympathie.
Original language | German |
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Title of host publication | Parteien in Frankreich |
Subtitle of host publication | Kontinuität und Wandel in der V. Republik |
Editors | Sabine Ruß, Joachim Schild, Jochen W. Schmidt, Ina Stephan |
Place of Publication | Wiesbaden |
Publisher | VS Verlag fur Sozialwissenschaften |
Pages | 35-56 |
Number of pages | 22 |
Edition | 1st |
ISBN (Electronic) | 9783322998705 |
ISBN (Print) | 9783810024909 |
DOIs | |
Publication status | Published - 2000 |